Gestern
7.11.2020 wurde das Ende der Trump Ära eingeläutet. 50.5% der AmerikanerInnen haben den demokratischen Kandidaten Joe Biden zum neuen Präsidenten der USA gewählt. Das ist ein
erstaunlich knappes Resultat, wenn man bedenkt, wie tief Trump Zustimmungswerte
in Bezug auf das Coronavirus und die allgemeine Amtsführung vor der Wahl
gewesen sind. Es fragt sich, aus welchen Gründen so viele AmerikanerInnen ihn
als Präsidenten behalten wollten. Folgende Punkte könnten eine Rolle gespielt
haben: - Trump kann wohlgetrost als
begnadeter Selbstvermarkter bezeichnet werden. Er lieferte seinen Anhängern das,
was sie hören wollten, ohne vor Manipulationen und Lügen zurückzuschrecken.
- Der Einfluss der sogenannten Informationsblase
hat sicherlich auch viel dazu beigetragen, Meinungen zu schaffen und
Überzeugungen zu verstärken. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass ein
Teil der Anhänger Trumps in eine kollektive, hypnotische Trance versetzt wurden: Wie in
einem Kult wiederholten sie die Inhalte ihres Gurus, ohne diese zu hinterfragen
oder sich mit widersprüchlichen Informationen auseinanderzusetzen. Alles, was
der existierenden Meinung widersprach, wurde abgespaltet und verleugnet. Und
der Guru machte es täglich in der Öffentlichkeit vor.
- Die andauernden Angriffe auf
die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft, Medien («fake news») und das schlichte
Erfinden von «alternativen Fakten», bzw. die schamlose Verbreitung von
Verschwörungstheorien haben das Vertrauen in diese Institutionen so weit
ausgehöhlt, dass damit eine alternative Realitätsblase entstanden ist, in der Glaube
mehr zählt als die Fakten und Beweise. Diese Entwicklung kann als erster Schritt in eine Autokratie verstanden werden.
- Charakterlich stellte er sich
als eigenständigen Aussenseiter dar, der ‘die Dinge so benennt, wie sie sind’,
und damit als Gegenpol zu einem politischen Establishment auftrat, das den
Kontakt zum Volk vielerorts verloren hatte. Trump sprach eine verständliche
Sprache, und benutzte fast karikaturistisch simple Konzepte, um den WählerInnen
die Welt zu erklären: Es gibt Gute und Böse, Gewinner und Verlierer, und die Lösung
zu komplexen Problemen ist gar nicht so schwierig, wie die Elite immer
behauptet. Es ist nicht erstaunlich, dass dieses extreme Schwarz-Weiss-Denken so
attraktiv geworden ist, wenn man bedenkt, wie komplex und mühselig es sein
kann, die wirklichen Zusammenhänge, Einflüsse und Schwierigkeiten zu verstehen.
Wie in einem komplexen Planspiel mit unzähligen Variablen, die sich gegenseitig
auf unbekannte Weise beeinflussen, kann eine Trägheit des Verstehen-Wollens auftreten
und damit der Wunsch nach einfachen Lösungen.
- Als «erfolgreicher» Geschäftsmann
verkörperte er den amerikanischen Traum, als Unternehmer reich und wohlhabend
zu werden, und eine eigene, allseits bekannte Marke geschaffen zu haben.
- Schliesslich stellte sich Trump
als immer erfolgreichen Siegertypen hin, der keine Schwächen hat und nie
aufgibt, sozusagen als den Superhero aus dem Comicbuch, der nie stirbt oder
einen Kratzer abbekommt. Es erstaunt nicht, dass Menschen empfänglicher sind für Autokratie, Konformismus und schnelle, einfache Lösungen in einer Zeit, die aufgrund der Coronakrise durch Leiden und Unsicherheit geprägt ist. Diese These vertritt auch Erich Fromm im Buch "Die Furcht vor der Freiheit" (1941), wenn er die Entwicklung des Faschismus in Deutschland analysiert. Trumps Nichte Mary Trump - ihrerseits klinische
Psychologin - erzählt in ihrem Buch «Zu viel und nie genug» («Too much and never enough»), dass es Trumps Überlebensstrategie war, nie Schwäche zuzulassen. In erster Linie definierte er sich als Siegertypen
mit Killerinstinkt, weil sein Vater ihn nur so akzeptiert hatte. Donald Trump
hatte miterlebt, wie sein älterer Bruder Fred, jr. – Mary Trumps Vater – von ihrem
Vater Fred, sr. gedemütigt und verhöhnt wurde, weil er versuchte, seinen
eigenen Weg zu gehen anstatt denjenigen, der dem Vater gefiel. Klein Donald
lernte schnell und schlüpfte stracks in die erfolgreich scheinende Rolle des
erfolgreichen Sohnes. Und er wurde reich belohnt mit der Anerkennung des
Vaters, mit Vertrauen, Autonomie und sehr viel Geld. Vater Fred investierte
sich derart in seinen Sohn Donald, dass er ihn aus allen misslichen Lagen, in
die sich sein Sohn immer wieder hinein brachte, wieder herausholte. Dadurch
musste sich Klein Donald nie mit den negativen Konsequenzen seines Versagens
auseinandersetzen - im Gegenteil: Seine Überzeugung, es gäbe kein Versagen,
wurde dadurch sogar noch verstärkt. Er konnte noch so grosse Fehler begehen,
nichts konnte ihm etwas anhaben. So bildeten er als begabter Selbstdarsteller
und grosskotziger PR-Mann mit seinem Vater Fred als Fachmann im eigentlichen
Immobiliengeschäft im Hintergrund ein ideales Team. Eine narzisstischeKollusion, wie aus dem Bilderbuch.
Die
Sehnsucht, stark und unverwundbar zu sein
Psychologisch betrachtet kennen wir alle dieses Phänomen, dass wir
stark sein wollen und die schwierigen verletzlichen Gefühle am liebsten gar
nicht mehr spüren würden. Aber die meisten Menschen realisieren, dass dies
nicht möglich ist, und es sich sogar lohnt, sich mit diesen auseinanderzusetzen.
Nicht so Trump: Er spaltete seine verletzliche Seite komplett ab und verleugnete
deren Existenz, und damit einen Teil seiner eigenen. Er wiederholte damit im
Grunde genau das, was ihm sein Vater schon angetan hatte: Er interessierte sich
nur für den erfolgreichen, starken «Killeranteil», und ignorierte, verhöhnte und
vernachlässigte den verletzlichen kleinen Donald. Was bedeutete das für den verletzlichen
Anteil? Er erhielt keine Unterstützung, und keine Strategien, wie er mit sich
umgehen sollte, ausser eben sich zu verleugnen und durchzubeissen. Bei Trump
ist dieser Zustand so ausgeprägt und pathologisch, dass man sagen könnte, er besitze
keinen psychischen Innenraum («Containment»-Begriff von Winnicott), wo er Verletzlichkeit und andere
Gefühle halten und verarbeiten könnte. Weil
er seine negativen Gefühle – die er wie jeder andere Mensch hatte – nicht in
sich verarbeiten konnte, lagerte er diese aus und «verarbeitete» sie ausserhalb
seiner Person: Er projizierte seine Schwächen auf andere, verleugnete und agierte seine kindlichen Impulse aus (z.B. als Trotzreaktionen oder Racheakte), oder er
verdrehte die Realität so, bis sie ihn in besserem Lichte erscheinen liess. Diese
Strategien gehören allesamt in die Gruppe der primitiven oder primären Abwehrmechanismen, typischerweise
verwendet von Kindern im Alter zwischen 2-6 Jahren.
Wie
gehe ich denn mit verletzlichen Gefühlen um?
Bereits vor über hundert Jahren hat Freud postuliert, dass Gefühle
nicht einfach verschwinden, wenn wir sie verdrängen, sondern uns weiterhin beeinflussen,
nämlich unbewusst. So wie ein gefüllter Luftballon nur mit viel Kraft unter Wasser
gedrückt werden kann und schnell wieder an die Oberfläche drängt, wenn die Kraft
der Unterdrückung etwas abnimmt, so drücken die verdrängten Gefühle an die
Oberfläche des Bewusstseins, wenn die Verdrängung nachlässt, z.B. nachts oder
im Traum. Die beste Lösung ist also zu lernen, Luft aus dem Ballon abzulassen, wenn
es nötig ist. So wird es auch einfacher, den Ballon bei Bedarf unters Wasser zu
drücken. Denn Verdrängung an sich ist nichts Schlimmes. Auf die Gefühlswelt
übertragen bedeutet ‘Luft ablassen’ die Emotionen zuzulassen, was Erleichterung
bringt. Denn unsere Emotionen regulieren sich von selber, beruhigen sich von
alleine, wenn sie Raum und Resonanz erhalten. Das bringt uns zum Paradoxder Veränderung: «Sobald wir aufhören, die Gefühle verändern zu
wollen, verändern sie sich.» Somit präsentiert sich auch die Lösung des Anliegens
vieler meiner Patienten/Innen, wie denn diese unangenehmen Gefühle wegzubringen
sind: «Wenn wir weniger fühlen wollen, müssen wir lernen, sie mehr zu fühlen.»
Dazu möchte ich noch eine weitere Metapher anführen: Stellen wir uns ein kleines Kind vor, das sehr traurig ist. Wenn die Eltern das Kind aufs Zimmer schicken, ohne mit ihm zu reden, eventuell gar noch mit dem Vorwurf versehen, es gäbe keinen Grund traurig zu sein, dann wird es - wie Donald - lernen, dass diese Gefühle keinen Platz haben und allenfalls dazu noch, dass etwas mit ihm nicht stimmt, dass es überhaupt solche Gefühle verspürt. Dadurch erfährt es eine mehrfache Belastung, (1) die unangenehmen Gefühle, (2) damit alleine gelassen zu werden, plus (3) eine negative Bewertung im Sinne von «Da muss ja wohl etwas mit mir nicht stimmen, dass ich so empfinde.» Dies ist natürlich nicht hilfreich. Viel besser wäre es, wenn die Eltern mit dem Kind darüber sprechen würden, was denn passiert sei und wie es ihm gehe. Dabei braucht es von den Eltern ein nicht-bewertendes Interesse und akzeptierende Liebe. Sie können die Gefühle des Kindes benennen, spiegeln und normalisieren («Ich sehe, wie traurig dich das macht. Das ist wirklich schlimm, würde mir auch so gehen»), und das Kind allenfalls von einer Schuld oder Scham befreien («Du hast nichts falsch gemacht, ich habe Dich genauso lieb!»). Falls sich das Kind bis dann noch nicht beruhigt hat, kann man allfällige Massnahmen vorschlagen, die man gemeinsam mit dem Kind durchführen könnte («Da finden wir schon eine Lösung gemeinsam. Das ist zwar traurig, aber das kommt dann schon wieder. Wie wäre es, zusammen ein Spiel zu machen? Oder möchtest du lieber noch ein wenig auf meinem Schoss bleiben?»). Indem das Kind sein eigenes Gefühl benannt und gespiegelt bekommt, erhält es Resonanz («Sie existieren wirklich!») und Akzeptanz («Ich bin kein schlechter Mensch deswegen») dafür, und die Gefühle beruhigen sich wieder.
Die Eltern fungieren also als Modell, wie man seine Gefühle beruhigt (Affektregulierung nach Fonagy).
Wer also den Umgang mit seinen verletzlichen Gefühlen verbessern möchte, der
kann sich diese als kleines Kind vorstellen und selber handeln, als wäre man die
guten Eltern. Dies entspricht dem Ansatz des ‘Inneren Kindes’, bzw. des Mentalisierungsprozesses (Video Peter Fonagy). Je mehr man
lernt, diese verletzlichen Gefühle zuzulassen und zu beruhigen, umso besser
wird die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, und umso mehr wir die
verletzliche Seite in die gesamte Persönlichkeit integriert und muss nicht mehr
abgespalten und versteckt werden. Damit steigt auch die Selbstakzeptanz, das
Selbstvertrauen, die Emotionsregulationsfähigkeit und damit die Resilienz, in
schwierigen Situationen zuversichtlich zu bleiben. Insgesamt wird die
Persönlichkeit also dadurch gefestigt und gestärkt.
Das Amerikanische Volk hegt also eine verständliche Sehnsucht nach
Stärke und Unverwundbarkeit, jedoch hat noch nicht begriffen, dass es nicht
umhinkommt, sich mit seinem verletzlichen Teil zu befassen, um dorthin zu
kommen. Denn Duschen ohne nass zu werden geht nicht. Hoffen wir, der neue
Präsident Joe Biden wird den Schmerz des Volkes spiegeln, anerkennen und einige
gemeinsame Lösungen für eine bessere Zukunft vorschlagen.