Samstag, 26. Dezember 2020

Was ist ein Burn-Out und wie wird es behandelt?

 Der Begriff ‘Burn-Out’ ist keine offizielle Diagnose, entspricht aber einer Erschöpfungsdepression aufgrund von Überarbeitung. Symptome lassen sich in die drei Hauptbereiche emotionale, kognitive und körperliche Symptome einteilen.

Emotionale Symptome:      Niedergeschlagenheit, Gereiztheit, Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle, Überforderungs- und Versagensgefühle, Motivationsverlust, Interessenverlust, teils Lebensüberdruss oder Suizidalität, Impuls alles hinzuwerfen, verstärktes Sich-Sorgen-Machen, Verbitterung und Zynismus

Kognitive Symptome:          Probleme mit Konzentration und manchmal auch Gedächtnis, Negatives Denken, Rumination (drehende und sich aufdrängende Gedanken), Mühe ‘abzuschalten’ und sich von der Arbeit gedanklich zu distanzieren

Körperliche Symptome:      Schlafprobleme (Mühe mit Einschlafen, Durchschlafen oder frühes Erwachen), Appetitverlust, Antriebsverlust (körperliche Erschöpfung), Libidoverlust, Unregelmässigkeiten mit Monatsblutung, körperliche Anspannung (Mühe sich zu entspannen)

Ferner kann es zu Angstsymptomen kommen wie folgende:
Sich-Sorgen-Machen, Katastrophisierendes Denken, Probleme mit der Verdauung, Panikattacken, Dünnhäutigkeit, körperliche Anspannung (Mühe sich zu entspannen), Alpträume, Schreckhaftigkeit

 

Wie kommt es zu einem Burn-Out?

Da es sich um eine graduelle Entwicklung handelt, ist der Übergang von gesund zu krank nicht eindeutig festzulegen. Wenn wir über längere Zeit über unsere Grenzen hinausgehen und die Warnsignale ignorieren, zehren wir je länger je mehr an unseren Notreserven. Solange ein regelmässiger Ausgleich stattfindet durch angenehme Aktivitäten (oder ‘Passivitäten’!), können die Batterien wieder aufgeladen werden, und der Stress verarbeitet werden. Wenn aber der Stress über längere Zeit anhält, und womöglich noch eine andauernd unbefriedigende oder überfordernde Situation bei der Arbeit besteht, dann sieht es nicht gut aus. Es gibt viele Gründe, die zu einer Depression oder einem Burn-Out führen können. So fallen oft mehrere belastende Ereignisse zusammen, seien es Tod oder Krankheit einer geliebten Person, Beziehungsprobleme wie Konflikte, Trennung oder Scheidung oder andere familiäre Probleme, zusammen mit Schwierigkeiten am Arbeitsplatz.

Gewisse Persönlichkeitsausprägungen tragen ebenfalls zu einem erhöhten Risiko, an Burn-Out zu erkranken bei. Dazu gehören Perfektionismus, Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, verstärkte Identifikation mit der Arbeit, Schwierigkeiten mit Abgrenzung und mit dem Nein-Sagen und hohe Ansprüche an sich selbst (Ehrgeiz, Leistungsorientierung), nur um einige zu nennen.

Behandlung eines Burn-Out

Wenn jemand mit einem Burn-Out zu mir in psychotherapeutische Behandlung kommt, muss ich mir ein Bild des Schweregrads der Symptome machen können. Kann die Person noch funktionieren im Alltag, bei der Arbeit, oder ist allenfalls eine Krankschreibung notwendig, da die Arbeitsfähigkeit nicht mehr gegeben ist, oder der Job zu viel Angst und Stress auslöst. Ich bin generell kein Fan von Medikamenten-Einnahme, doch wenn die Burn-Out Symptome zu stark sind, macht es durchaus Sinn, Antidepressiva einzunehmen. Diese machen nicht abhängig, und können helfen mit der Stimmung, dem Antrieb oder der Angst.

In den ersten Sitzungen geht es zunächst einmal darum, die Dynamik der Depression zu verstehen, oder mit anderen Worten: Was macht die Person krank? Sind es externale oder internale Belastungen? Liegen komorbide, darunterliegende Erkrankungen vor, wie beispielsweise eine ADHS, eine Angststörung, Suchtproblematik oder gar eine Traumatisierung? In einem weiteren Schritt geht es dann darum, herauszufinden, was der Person guttun würde, für welche Aktivitäten oder ‘Passivitäten’ die Person noch motiviert ist, ohne sich zu etwas zwingen zu müssen. Das Wichtigste dabei ist, dass man lieb und nicht fordernd sich selbst gegenüber ist. Ansonsten werden die so oder so vorhandenen Versagensgefühle und Selbstvorwürfe nur noch verstärkt. Seine eigenen Einschränkungen so zu akzeptieren, wie sie sind – und in einer Depression sind diese extrem tief! – ist eine Herausforderung, aber sehr zentral. Es ist eine Illusion zu denken, man würde sich schneller erholen, wenn man sich in einem Burn-Out zu all den Aktivitäten zwingt, die einem (theoretisch) gut tun würden, wie Yoga, Joggen, Meditation, Sport, usw. Die Chance ist hoch, dass zu alldem die Lust und die Energie fehlt. Bleiben lassen. Nur diejenigen Dinge tun, die ohne Zwang und Druck möglich sind.

Der zentralste Punkt im Heilungsprozess ist meiner Meinung nach, dass man den Kontakt zu sich selbst wiederfindet. Das bedeutet, den Kontakt zu seinen inneren Instrumenten, zum Körper und zur eigenen Intuition, die signalisiert, was für uns im Moment gut oder weniger gut ist. Ich verstehe Burn-Out als Kontaktverlust zur eigenen Intuition. Wie wenn Sie in ihrem Auto fahren und über längere Zeit die warnenden Anzeigen im Cockpit ignorieren. «Das Benzin wird schon noch reichen, diese Anzeige kann ich ignorieren, nur noch ein kleines Stück weiter.» Die Warnlampe wird stärker leuchten und lauter piepsen, und allenfalls stellen Sie dann das mühsam piepsende Signal auch einfach ab, wie bei einer Alarmanlage, die fortwährend losgeht, ohne dass ein Einbrecher da wäre. Und irgendwann ist dann der Tank endgültig leer, und das Auto bleibt stehen. Sie sind am Ende Ihrer Kräfte angelangt. Und Sie fragen sich: Wie konnte es nur soweit kommen?

In meiner klinischen Arbeit habe ich schon Menschen getroffen, die die Warnsignale ihres Körpers so lange ignoriert haben, bis sie eines Tages schliesslich zusammengebrochen sind, Weinkrämpfe erlitten haben oder am Morgen nicht mehr aus dem Bett aufstehen konnten. Der Körper hatte beschlossen, dass es genug ist, und dass die einzige Möglichkeit des Selbstschutzes ein «Grounding» sei.

Wir haben leider das Vertrauen in den eigenen Körper verloren, und gedacht, wir wüssten es besser. Aber Fakt ist, dass unsere innere Warnanlage nie ohne triftigen Grund losgeht. Wir sind nie emotional ohne Grund. Es gibt immer einen Grund. Nur leider verstehen wir ihn oft nicht. In einer Psychotherapie kann erörtert werden, was unser Körper und unsere Emotionen uns zu sagen versuchen und woher es kommt, dass wir so stark reagieren in einer gewissen Situation. Durch das Wissen verändert sich zwar unsere emotionale Reaktion nicht, aber wir können lernen, diese in ihrer Intensität einzuordnen und zu akzeptieren. Mit anderen Worten: Wir versuchen zuerst, den inneren Kampf gegen uns selbst zu beruhigen, wir arbeiten an der Bewertungsebene, der Meta-Ebene. Oft zehrt eine (typische) Depression zu einem grossen Teil von dieser negativen Selbstbewertung, von toxischen Scham- und Schuldgefühlen. Sätze wie «Ich bin nicht gut genug» «Etwas ist falsch an mir» oder «Ich bin nicht liebenswert» widerspiegeln diese schambasierte Identifikation, die oft aus dem Kindesalter stammt.

Natürlich spielen bei der Behandlung einer an Burn-Out erkrankten Person noch viele weitere Aspekte ein, auf die ich nicht hier nicht im Detail eingehen kann. Unter Anderem geht es um das Erkennen und im besten Fall Auflösen der negativen Identifikationen, um Aufbau von stützenden Ressourcen, und um die Erarbeitung und das Erleben von Selbstakzeptanz sowohl auf emotionaler als auch auf Körperebene und um den Aufbau eines positiven Selbstbildes. Damit sich diese Aspekte entwickeln, braucht es vor allem eine tragende, vertrauensvolle Beziehung zum Therapeuten. Ein authentisches, mitfühlendes und wohlwollendes Gegenüber, das einen so akzeptiert wie man ist, ist meiner Meinung nach das A und O einer guten Behandlung. Nur so können Sie lernen, wieder an sich zu glauben und das Positive in sich sehen und fördern.


Dienstag, 10. November 2020

NARM - Neuroaffektives Beziehungsmodell - Neuroaffective relational model

NARM ist ein neues Therapieverfahren, das - wie der Name schon verrät - neueste neurowissenschaftliche Erkenntnisse zur Selbstregulierung mit einem beziehungsdynamischen Hintergrund vereint. Der Begründer Dr. Laurence Heller arbeite lange als Trainer für Somatic Experiencing, bevor er sich entschloss, ein eigenes Verfahren zu entwickeln, das neben des Bottom-Up Ansatzes des SE auch den Top-Down Ansatz benutzt.

Was macht NARM so einzigartig? 

  • NARM vereint den Bottom-Up Ansatz des SE und der Körpertherapie mit dem Top- Down Ansatz der Psychotherapie. Mit anderen Worten vereint es Techniken der Körpertherapie und der Gesprächstherapie und bringt die beiden Richtungen zusammen. 
  • NARM ist Ressourcenorientiert anstatt symptom-orientiert. 
  • NARM ist autonomie- und selbstregulierungsfördernd anstatt regressiv. 
  • NARM arbeitet (wie die Gestalttherapie) im Hier und Jetzt, in der therapeutischen Beziehung, auf dem Hintergrund der relevanten Entwicklungsperspektive der Kindheit. Mit anderen Worten vereint NARM die gegenwartsbezogene Arbeitsweise der Gestalttherapie mit der psychoanalytisch-entwicklungsorientierten Methode. 
  • NARM arbeitet mit zentralen Konflikten und Beziehungshemen (wie die Psychoanalytische Therapie). 
  • NARM basiert auf den fundamentalen Erkenntnissen von Peter Levine über die Regulation des Nervensystems. Dabei lernt der Klient sein Nervensystem selber zu regulieren


Theorie hinter NARM

NARM hat das Rad nicht neu erfunden, sondern vereint Aspekte aus den folgenden Therapie-schulen: 

  • "Somatic Experiencing" (Bottom-Up-Ansatz, Somatische Achtsamkeit, Selbst-regulierungstechniken) 
  • Psychoanalytische Therapie (Psychoanalytischen Konfliktlehre, Übertragungsdynamik)
  • Körpertherapien (Charaktertypen von Reich und Lowen)  
  • Gestalttherapie (Phänomenologie, Arbeiten im Hier und Jetzt) 
  • Kognitive Verhaltenstherapie (kognitive Verzerrungen, Top-Down-Ansatz)  
  • Affektive Neurowissenschaften (Polyvagaltheorie Porges)  
  • Esoterische Ansätze (Vipassana Meditationstechnik, Eckhard Tolle u.a.).


NARM in der Praxis  

  • Es handelt sich um eine feine Arbeitsweise, in der die Klientin Richtung, Tempo und Vertiefungsgrad selbst bestimmt. 
  • Achtsamkeit spielt eine zentrale Rolle in NARM.
  • Selbstregulierung wird geübt anhand von Techniken aus "Somatic Experiencing". Indem der Therapeut die visuell wahrnehmbaren Veränderungen in Ihrem Nervensytsem spiegelt, lernen Sie Ihre Reaktionen kennen.


Grundannahmen in NARM

  • Die Haltung ist eine humanistische: Die Bedürfnisse der Klientin stehen im Zentrum. Der Therapeut will nichts, ausser die Klientin dabei zu unterstützen, deren Wünsche umzusetzen. 
  • Starke Ressourcenorientierung: Ziel ist es, dass der Klient den Zugang zu seiner eigenen Stärke findet. Dann verschwinden die Symptome von alleine. Dies ist ein zentraler Unterschied zu den meisten anderen Therapieverfahren, die darauf hinzielen, Symptome zu beseitigen. 
  • NARM hingegen fokussiert auf das Positive, die Lebenskraft, die Energie.


Begriffsklärung

  • Bottom-Up: Von unten nach oben, oder von der (Körper-)Erfahrung zum Konzept. Typische Vorgehensweise in Körpertherapien 
  • Top-Down: Von oben nach unten, oder vom Kopf in den Körper, vom Konzept ausgehend. Bevorzugte Vorgehensweise in Psychotherapien, wo hauptsächlich geredet wird. 
  • Regressiver Ansatz: Der Klient wird sozusagen wieder zum kleinen Kind von damals, um so neue Erfahrungen machen zu können 
  • Anti-regressiver Ansatz (wie NARM): Der Klient behält Kontrolle und Perspektive des erwachsenen Selbst, und blickt aus dieser sichereren Perspektive auf Vergangenes.
  • Polyvagaltheorie von Stephen Porges: Diese erforscht den Zusammenhang zwischen Sozialverhalten und Nervensystem.
  • Entwicklungstrauma (developmental trauma): Leider ein verwirrender Begriff, da es sich nicht um Trauma im herkömmlichen Sinn (einer PTBS) handelt, sondern alle in der Kindheit erlernten Anpassungsmuster umschliesst, egal ob pathologisch oder nicht. Der Begriff Entwicklungstrauma ist auch keine anerkannte Diagnose.


Fünf organisierende Entwicklungsthemen

Es gibt fünf zentrale Ressourcen und mit ihnen verbundene entwicklungspsychologische Lebensthemen, die sich darauf auswirken, wie gut es uns gelingt, im Hier und Jetzt vollauf bei uns selbst und anderen zu sein:

Kontakt. Wir haben das Gefühl, auf diese Welt zu gehören. Wir sind in Kontakt mit unserem Körper und unseren Gefühlen und sind zu durchgängigen Beziehungen zu anderen imstande.
Bedürfnisse. Wir wissen, was wir brauchen und sind in der Lage, auf andere zuzugehen, wenn wir ihre Fürsorge brauchen. Wir können uns an der reichen Fülle des Lebens erfreuen.
Vertrauen. Wir haben ein inhärentes Selbstvertrauen und Zutrauen zu anderen. Wir fühlen uns sicher genug, um gesunde wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse mit anderen zu erlauben und uns auf sie zu verlassen.
Autonomie. Wir können Nein sagen und anderen gegenüber klare Grenzen setzen. Wir sagen, was wir denken, ohne dabei von Schuldgefühlen oder Angst geplagt zu sein.
Liebe und Sexualität. Unser Herz ist offen und unser Nervensystem im Gleichgewicht, was liebevolle Beziehungen und eine gesunde Sexualität unterstützt.

In dem Umfang, in dem diese fünf Grundbedürfnisse erfüllt sind, bleiben wir im Fluss und in gutem Kontakt mit uns selbst. Wir begegnen unserem Umfeld mit einem Gefühl der Sicherheit und mit Vertrauen. Wir haben das Gefühl, innerlich im Lot zu sein und erleben eine gewisse Ausdehnung. In dem Masse, wie für diese Grundbedürfnisse nicht gesorgt ist, entwickeln wir bestimmte Überlebensstrategien, um den fehlenden Kontakt und die gestörte Regulierung zu bewältigen.

Links und Buchempfehlungen zu NARM

 

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Sonntag, 8. November 2020

Trump oder die Sehnsucht nach Stärke und Unverwundbarkeit

 

Gestern 7.11.2020 wurde das Ende der Trump Ära eingeläutet.  50.5% der AmerikanerInnen haben den demokratischen Kandidaten Joe Biden zum neuen Präsidenten der USA gewählt. Das ist ein erstaunlich knappes Resultat, wenn man bedenkt, wie tief Trump Zustimmungswerte in Bezug auf das Coronavirus und die allgemeine Amtsführung vor der Wahl gewesen sind. Es fragt sich, aus welchen Gründen so viele AmerikanerInnen ihn als Präsidenten behalten wollten. Folgende Punkte könnten eine Rolle gespielt haben:
  • Trump kann wohlgetrost als begnadeter Selbstvermarkter bezeichnet werden. Er lieferte seinen Anhängern das, was sie hören wollten, ohne vor Manipulationen und Lügen zurückzuschrecken.
  • Der Einfluss der sogenannten Informationsblase hat sicherlich auch viel dazu beigetragen, Meinungen zu schaffen und Überzeugungen zu verstärken. Ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass ein Teil der Anhänger Trumps in eine kollektive, hypnotische Trance versetzt wurden: Wie in einem Kult wiederholten sie die Inhalte ihres Gurus, ohne diese zu hinterfragen oder sich mit widersprüchlichen Informationen auseinanderzusetzen. Alles, was der existierenden Meinung widersprach, wurde abgespaltet und verleugnet. Und der Guru machte es täglich in der Öffentlichkeit vor. 
  • Die andauernden Angriffe auf die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft, Medien («fake news») und das schlichte Erfinden von «alternativen Fakten», bzw. die schamlose Verbreitung von Verschwörungstheorien haben das Vertrauen in diese Institutionen so weit ausgehöhlt, dass damit eine alternative Realitätsblase entstanden ist, in der Glaube mehr zählt als die Fakten und Beweise. Diese Entwicklung kann als erster Schritt in eine Autokratie verstanden werden.
  • Charakterlich stellte er sich als eigenständigen Aussenseiter dar, der ‘die Dinge so benennt, wie sie sind’, und damit als Gegenpol zu einem politischen Establishment auftrat, das den Kontakt zum Volk vielerorts verloren hatte. Trump sprach eine verständliche Sprache, und benutzte fast karikaturistisch simple Konzepte, um den WählerInnen die Welt zu erklären: Es gibt Gute und Böse, Gewinner und Verlierer, und die Lösung zu komplexen Problemen ist gar nicht so schwierig, wie die Elite immer behauptet. Es ist nicht erstaunlich, dass dieses extreme Schwarz-Weiss-Denken so attraktiv geworden ist, wenn man bedenkt, wie komplex und mühselig es sein kann, die wirklichen Zusammenhänge, Einflüsse und Schwierigkeiten zu verstehen. Wie in einem komplexen Planspiel mit unzähligen Variablen, die sich gegenseitig auf unbekannte Weise beeinflussen, kann eine Trägheit des Verstehen-Wollens auftreten und damit der Wunsch nach einfachen Lösungen.    
  • Als «erfolgreicher» Geschäftsmann verkörperte er den amerikanischen Traum, als Unternehmer reich und wohlhabend zu werden, und eine eigene, allseits bekannte Marke geschaffen zu haben. 
  • Schliesslich stellte sich Trump als immer erfolgreichen Siegertypen hin, der keine Schwächen hat und nie aufgibt, sozusagen als den Superhero aus dem Comicbuch, der nie stirbt oder einen Kratzer abbekommt. Es erstaunt nicht, dass Menschen empfänglicher sind für Autokratie, Konformismus und schnelle, einfache Lösungen in einer Zeit, die aufgrund der Coronakrise durch Leiden und Unsicherheit geprägt ist. Diese These vertritt auch Erich Fromm im Buch "Die Furcht vor der Freiheit" (1941), wenn er die Entwicklung des Faschismus in Deutschland analysiert. Trumps Nichte Mary Trump - ihrerseits klinische Psychologin - erzählt in ihrem Buch «Zu viel und nie genug»Too much and never enough»), dass es Trumps Überlebensstrategie war, nie Schwäche zuzulassen.  In erster Linie definierte er sich als Siegertypen mit Killerinstinkt, weil sein Vater ihn nur so akzeptiert hatte. Donald Trump hatte miterlebt, wie sein älterer Bruder Fred, jr. – Mary Trumps Vater – von ihrem Vater Fred, sr. gedemütigt und verhöhnt wurde, weil er versuchte, seinen eigenen Weg zu gehen anstatt denjenigen, der dem Vater gefiel. Klein Donald lernte schnell und schlüpfte
    stracks in die erfolgreich scheinende Rolle des erfolgreichen Sohnes. Und er wurde reich belohnt mit der Anerkennung des Vaters, mit Vertrauen, Autonomie und sehr viel Geld. Vater Fred investierte sich derart in seinen Sohn Donald, dass er ihn aus allen misslichen Lagen, in die sich sein Sohn immer wieder hinein brachte, wieder herausholte. Dadurch musste sich Klein Donald nie mit den negativen Konsequenzen seines Versagens auseinandersetzen - im Gegenteil: Seine Überzeugung, es gäbe kein Versagen, wurde dadurch sogar noch verstärkt. Er konnte noch so grosse Fehler begehen, nichts konnte ihm etwas anhaben. So bildeten er als begabter Selbstdarsteller und grosskotziger PR-Mann mit seinem Vater Fred als Fachmann im eigentlichen Immobiliengeschäft im Hintergrund ein ideales Team. Eine narzisstischeKollusion, wie aus dem Bilderbuch.

Die Sehnsucht, stark und unverwundbar zu sein

Psychologisch betrachtet kennen wir alle dieses Phänomen, dass wir stark sein wollen und die schwierigen verletzlichen Gefühle am liebsten gar nicht mehr spüren würden. Aber die meisten Menschen realisieren, dass dies nicht möglich ist, und es sich sogar lohnt, sich mit diesen auseinanderzusetzen. Nicht so Trump: Er spaltete seine verletzliche Seite komplett ab und verleugnete deren Existenz, und damit einen Teil seiner eigenen. Er wiederholte damit im Grunde genau das, was ihm sein Vater schon angetan hatte: Er interessierte sich nur für den erfolgreichen, starken «Killeranteil», und ignorierte, verhöhnte und vernachlässigte den verletzlichen kleinen Donald. Was bedeutete das für den verletzlichen Anteil? Er erhielt keine Unterstützung, und keine Strategien, wie er mit sich umgehen sollte, ausser eben sich zu verleugnen und durchzubeissen. Bei Trump ist dieser Zustand so ausgeprägt und pathologisch, dass man sagen könnte, er besitze keinen psychischen Innenraum («Containment»-Begriff von Winnicott), wo er Verletzlichkeit und andere Gefühle halten und verarbeiten könnte.  Weil er seine negativen Gefühle – die er wie jeder andere Mensch hatte – nicht in sich verarbeiten konnte, lagerte er diese aus und «verarbeitete» sie ausserhalb seiner Person: Er projizierte seine Schwächen auf andere, verleugnete und agierte seine kindlichen Impulse aus (z.B. als Trotzreaktionen oder Racheakte), oder er verdrehte die Realität so, bis sie ihn in besserem Lichte erscheinen liess. Diese Strategien gehören allesamt in die Gruppe der primitiven oder primären Abwehrmechanismen, typischerweise verwendet von Kindern im Alter zwischen 2-6 Jahren.

Wie gehe ich denn mit verletzlichen Gefühlen um?

Bereits vor über hundert Jahren hat Freud postuliert, dass Gefühle nicht einfach verschwinden, wenn wir sie verdrängen, sondern uns weiterhin beeinflussen, nämlich unbewusst. So wie ein gefüllter Luftballon nur mit viel Kraft unter Wasser gedrückt werden kann und schnell wieder an die Oberfläche drängt, wenn die Kraft der Unterdrückung etwas abnimmt, so drücken die verdrängten Gefühle an die Oberfläche des Bewusstseins, wenn die Verdrängung nachlässt, z.B. nachts oder im Traum. Die beste Lösung ist also zu lernen, Luft aus dem Ballon abzulassen, wenn es nötig ist. So wird es auch einfacher, den Ballon bei Bedarf unters Wasser zu drücken. Denn Verdrängung an sich ist nichts Schlimmes. Auf die Gefühlswelt übertragen bedeutet ‘Luft ablassen’ die Emotionen zuzulassen, was Erleichterung bringt. Denn unsere Emotionen regulieren sich von selber, beruhigen sich von alleine, wenn sie Raum und Resonanz erhalten. Das bringt uns zum Paradoxder Veränderung: «Sobald wir aufhören, die Gefühle verändern zu wollen, verändern sie sich.» Somit präsentiert sich auch die Lösung des Anliegens vieler meiner Patienten/Innen, wie denn diese unangenehmen Gefühle wegzubringen sind: «Wenn wir weniger fühlen wollen, müssen wir lernen, sie mehr zu fühlen.»


Dazu möchte ich noch eine weitere Metapher anführen: Stellen wir uns ein kleines Kind vor, das sehr traurig ist. Wenn die Eltern das Kind aufs Zimmer schicken, ohne mit ihm zu reden, eventuell gar noch mit dem Vorwurf versehen, es gäbe keinen Grund traurig zu sein, dann wird es - wie Donald - lernen, dass diese Gefühle keinen Platz haben und allenfalls dazu noch, dass etwas mit ihm nicht stimmt, dass es überhaupt solche Gefühle verspürt. Dadurch erfährt es eine mehrfache Belastung, (1) die unangenehmen Gefühle, (2) damit alleine gelassen zu werden, plus (3) eine negative Bewertung im Sinne von «Da muss ja wohl etwas mit mir nicht stimmen, dass ich so empfinde.» Dies ist natürlich nicht hilfreich. Viel besser wäre es, wenn die Eltern mit dem Kind darüber sprechen würden, was denn passiert sei und wie es ihm gehe. Dabei braucht es von den Eltern ein nicht-bewertendes Interesse und akzeptierende Liebe. Sie können die Gefühle des Kindes benennen, spiegeln und normalisieren («Ich sehe, wie traurig dich das macht. Das ist wirklich schlimm, würde mir auch so gehen»), und das Kind allenfalls von einer Schuld oder Scham befreien («Du hast nichts falsch gemacht, ich habe Dich genauso lieb!»). Falls sich das Kind bis dann noch nicht beruhigt hat, kann man allfällige Massnahmen vorschlagen, die man gemeinsam mit dem Kind durchführen könnte («Da finden wir schon eine Lösung gemeinsam. Das ist zwar traurig, aber das kommt dann schon wieder. Wie wäre es, zusammen ein Spiel zu machen? Oder möchtest du lieber noch ein wenig auf meinem Schoss bleiben?»). Indem das Kind sein eigenes Gefühl benannt und gespiegelt bekommt, erhält es Resonanz («Sie existieren wirklich!») und Akzeptanz («Ich bin kein schlechter Mensch deswegen») dafür, und die Gefühle beruhigen sich wieder.
 Die Eltern fungieren also als Modell, wie man seine Gefühle beruhigt (Affektregulierung nach Fonagy). Wer also den Umgang mit seinen verletzlichen Gefühlen verbessern möchte, der kann sich diese als kleines Kind vorstellen und selber handeln, als wäre man die guten Eltern. Dies entspricht dem Ansatz des ‘Inneren Kindes’, bzw. des Mentalisierungsprozesses (Video Peter Fonagy). Je mehr man lernt, diese verletzlichen Gefühle zuzulassen und zu beruhigen, umso besser wird die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, und umso mehr wir die verletzliche Seite in die gesamte Persönlichkeit integriert und muss nicht mehr abgespalten und versteckt werden. Damit steigt auch die Selbstakzeptanz, das Selbstvertrauen, die Emotionsregulationsfähigkeit und damit die Resilienz, in schwierigen Situationen zuversichtlich zu bleiben. Insgesamt wird die Persönlichkeit also dadurch gefestigt und gestärkt.

Das Amerikanische Volk hegt also eine verständliche Sehnsucht nach Stärke und Unverwundbarkeit, jedoch hat noch nicht begriffen, dass es nicht umhinkommt, sich mit seinem verletzlichen Teil zu befassen, um dorthin zu kommen. Denn Duschen ohne nass zu werden geht nicht. Hoffen wir, der neue Präsident Joe Biden wird den Schmerz des Volkes spiegeln, anerkennen und einige gemeinsame Lösungen für eine bessere Zukunft vorschlagen.

 

Freitag, 30. Oktober 2020

Körperintelligenz oder 'das menschliche Instrument'

Wir leben in einem Zeitalter der digitalen Revolution. Dieser technische Fortschritt erlaubt es uns, Daten über unser Verhalten zu sammeln und auszuwerten. Die Gadgets nennen sich Wearables - weil man sich praktisch ums Handgelenk tragen kann, während sie einen überwachen und Schritte, Puls oder andere Parameter erheben. Andere Apps erfordern eine manuelle Dateneingabe, z.B. für Essverhalten oder ähnliche Dinge. Dieser Vorgang der Datenerfassung und -auswertung stellt eine Quantifizierung unseres Verhaltens dar. Was auf den ersten Eindruck Sinn macht, kann sich meiner Meinung nach auf längere Zeit fatal auswirken. Zuallererst verstehe ich nicht, weshalb man Funktionen outsourcen soll, wenn jeder Mensch diese auch selber ausführen kann. Denn wir besitzen ein körpereigenes 'Instrument', das uns darüber Aufschluss gibt, ob wir müde sind, Hunger haben, nervös sind oder nicht genügend geschlafen haben. Für unsere Entscheidungsfindung im Alltag benötigen wir keine quantifizierbaren Daten, wir machen es intuitiv. Wir spüren es irgendwie, wenn wir uns die Zeit nehmen und bewusst darauf achten. Natürlich ist diese Fähigkeit nicht bei jedem Menschen in gleichem Masse ausgeprägt. Es gibt viele Menschen, die abgeschnitten sind von ihren Gefühlen und ihrem Körper. Ich denke da beispielsweise an Menschen mit Suchtproblemen, Traumatisierungen oder Menschen mit Autismus. Interessanterweise haben diese Personen oft Probleme mit persönlichen Entscheidungen und es fällt ihnen schwer, zu wissen, was sie wollen oder was gut für sie wäre. Der Grund dafür ist, dass sie den Kontakt zu ihrem eigenen Informationszentrum verloren haben, dem körpereigenen Instrument, das ich zuvor erwähnt habe. Wer nicht weiss, was ihm/ihr guttut, der hat in der Folge auch Mühe im Umgang mit seinen Gefühlen. Denn um unsere Gefühle zu regulieren, greifen wir auf die intuitiven Impulse und Bedürfnisse zurück, die wir vom Körper erhalten. Als Beispiel für einen solchen Handlungsimpuls nenne ich ein Trauergefühl. Der Handlungsimpuls könnte hier beispielsweise sein, sich ins warme Bett zu kuscheln und sich die Decke über den Kopf zu ziehen und ganz alleine zu sein. Dieser Handlungsimpuls ist jedoch nicht zu verwechseln mit der Idee, was jetzt wohl das Schlauste zu tun wäre. Die Idee entspringt dem Denken, und der Handlungsimpuls dem Körper, oder dem ‘Bauch’, wie manche sagen. Die Idee ist ein ‘Top-Down-Prozess’ und der intuitive Handlungsimpuls ein ‘Bottom-Up-Prozess’.

Als weiteres Beispiel dafür, was passieren kann, wenn wir unser körpereigenes Navigationsinstrument ignorieren, kann das allgegenwärtige Phänomen des Burn-Outs genannt werden. Was uns Menschen von Affen unterscheidet, ist unser Präfrontalkortex, der uns erlaubt, Handlungen zu planen und Impulse aufzuschieben. Wenn wir das nicht könnten, würden wir bei jeder Ablenkung die Arbeit fallen lassen und uns bei jeder Müdigkeit oder bei jedem Motivationsverlust hinlegen, etc. Wir haben also die Fähigkeit, weiterzuarbeiten, obwohl wir müde sind. Nur tun wir das in solch extremem Masse, bis es irgendeinmal einfach nicht mehr geht. Ich vergleiche das oft mit einem Auto, bei dem die Anzeige leuchtet, dass es Benzin oder Öl braucht. Und indem wir die Anzeige ignorieren, und uns sagen «So schlimm kann es ja nicht sein, der Wagen fährt ja noch», schneiden wir uns von unserer Intuition ab und entfremden uns von uns selber. Menschen mit Burn-Out müssen wieder lernen, ihr Instrument zu lesen und ernst zu nehmen: Körpersensationen und Bedürfnisse wahrnehmen und die eigenen Grenzen spüren.

Glücklicherweise ist die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung trainierbar, beispielsweise mit Hilfe von Achtsamkeits-Meditation, Yoga oder in einer Psychotherapie, nur um einige Möglichkeiten zu nennen. Durch die Verbesserung der Selbstwahrnehmung und Selbstregulierung, profitiert die psychische Gesundheit und die Stabilität eines Menschen.

Daher plädiere ich von ganzem Herzen für die Entwicklung der körpereigenen Instrumente anstelle von Apps und Wearables.

Wir brauchen keine zusätzliche Abhängigkeit, und - obwohl das Anschauen und Vergleichen von Daten durchaus einen Reiz haben kann - quantifizierbare Daten bergen meiner Meinung nach mehr Risiko als Gewinn: So können persönliche Daten von Versicherungen, Arbeitnehmern oder schlimmstenfalls von einer kontrollierenden Regierung (wie China) verwendet werden. Ferner bringt der Vergleich mit dem statistischen Durchschnitt meist wenig. Viel aussagekräftiger wäre ein intraindividueller Vergleich, womit auch die individuelle Entwicklung gewürdigt werden kann. Die Auswertung von messbaren Daten greift viel zu kurz, wenn es um das Erklären von persönlichen Unterschieden geht. Denn das menschliche Erleben und Verhalten sind sehr komplex, und die Einflussvariablen auf unsere Lernprozesse bisher nicht durch künstliche Intelligenz reproduzierbar. Wahrscheinlich wird es in naher Zukunft möglich sein, menschliche Funktionen mit AI (Artificial Intelligence / Künstlicher Intelligenz) zu erweitern und zu verbessern. Konzepte wie ‘augmented reality’, bzw. 'Erweiterte Realität' deuten auf eine klare Entwicklung in diese Richtung hin. Ob dieser Fortschritt dem Menschen zu Gute kommen oder schaden wird, hängt von den Interessen der Geldgeber und Mächte ab. Wer seine Körperintelligenz zu nutzen weiss, der wird ein autonomeres selbstbestimmteres Leben führen können. Soviel ist sicher.

Behandlung von belastenden Erinnerungen mit EMDR

Was ist EMDR?
EMDR  bedeutet  "Eye  Movement  Desensitization and  Reprocessing" und wurde  1987-1989  von der Amerikanischen  Psychologin  Dr. Francine Shapiro  zur  Behandlung von Traumata  entwickelt. Durch schnelle horizontale Augenbewegungen  (L-R) wird im Gehirn die Verarbeitung von Gedächtnisinhalten gestartet. Wird eine belastende Erinnerung so durcharbeitet, sinkt die Belastung (im besten Fall) andauernd ab. Was zunächst simpel klingt, ist eine komplexe und umfangreiche Psychotherapiemethode, bedarf einer mehrjährigen  Ausbildung,  zu der aktuell nur anerkannte Psychotherapeuten zugelassen sind. Als ich zum ersten Mal von den unglaublichen Heilungserfolgen  von  EMDR hörte, war ich zugegebenermassen sehr skeptisch. Mittlerweile bin ich davon überzeugt,  dass EMDR eine sehr effektive Therapiemethode  für Trauma ist und ein mächtiges Instrument zur gründlichen und schnellen Durcharbeitung von Emotionen. EMDR funktioniert für die meisten Menschen.

Geschichte
Die Amerikanische Psychologin stiess 1987 durch Zufall auf die Wirkung der Augenbewegungen. Sie hatte damals soeben selber eine schwierige Diagnosestellung erhalten und  machte zum "Verdauen" der Neuigkeiten einen Spaziergang im Park des Spitals. Dabei bewegte sie ihre Augen (zufällig) schnell hin und her. Nach zehn Minuten war ihre Belastung plötzlich wie verschwunden. Shapiro war so beeindruckt, dass sie in den darauffolgenden Jahren EMDR daraus entwickelte. Später fanden Shapiro und Kollegen heraus, dass der Effekt nicht ausschliesslich durch Augenbewegungen hervorgerufen werden kann, sondern dass das eigentliche Wirkprinzip die bilaterale Stimulation ist. Doch der Name EMDR hatte sich bereits so stark etabliert, dass sie auf eine Namensänderung verzichteten. Heute hat der Patient die Wahl, ob er EMDR mit Augenbewegungen, alternierenden  Tönen  (mit  Kopfhörern) oder mit einem vibrierenden Gerät ("EMDR Buzzies") machen möchte.


Wirkprinzipien
Interessanterweise ist die Wirksamkeit sehr gut belegt, nicht aber die exakte Wirkweise von EMDR. Bislang existieren lediglich Hypothesen.
• Ankurbeln der Verarbeitung von Gedächtnisinhalten, ähnlich wie im REM-Schlaf
• Informationsverarbeitungssystem im Zentralnervensystem (ZNS) wird aktiviert. Durch die 
  Reizüberflutung während einer traumatischen Situation scheint dieses  System zum Teil blockiert zu
  werden.
• EMDR löst eine Orientierungsreaktion aus und führt so direkt zu einer Desensibilisierung und
  Verarbeitung der traumatischen Erinnerung
• EMDR fördert den bilateralen Datenaustausch zwischen den Hirnhälften. So können
  unverarbeitete Erinnerungen verarbeitet werden.

Langsame vs. schnelle Stimulation
Mit langsamer Stimulation werden vorhandene Phänomene verstärkt  oder verankert. Diese Effekte sind nur temporär. Diese Technik kommt bei einer ersten Testsitzung zum Einsatz (sog. Absorptionstechnik) oder beim Abschluss einer erfolgreichen EMDR-Sitzung (sog.Verankerung). Mit schneller Stimulation wird die Verarbeitung gestartet, also die eigentliche EMDR-Behandlung. Diese Effekte sind andauernd.


Wirksamkeit
Die EMDR-Methode hat sich als eine effektive und zeitökonomische Behandlungsmethode für die posttraumatische Belastungsstörung etabliert. Heute ist in fast jedem zivilisierten Land eine EMDR Ausbildungsstätte zu finden. Über die PTBS hinaus gibt es zunehmend positive Erfahrungen mit anderen Störungsbildern. In den 30  Jahren ihres Bestehens hat sich EMDR zur Therapiemethode mit  den meisten kontrollierten und unkontrollierten Therapiestudien zur Behandlung von PTBS entwickelt. Die Effekte sind andauernd und heben sich deutlich von Placeboeffekten ab. Mit anderen Worten: Es funktioniert auch, wenn man nicht daran glaubt. Bei der EMDR-Behandlung einer Person mit einer einzelnen Traumatisierung reichen in der Regel wenige Sitzungen,  wenn keine starken Vorbelastungen vorliegen.  Bei der Behandlung  von Personen, welche eine sequentielle Traumatisierung über einen längeren Zeitraum hinweg erlebt haben, braucht es für die Stabilisierungsphase einen längeren Zeitraum. Diese Phase kann Wochen bis Jahre dauern.


Anwendungsfelder
• Monotrauma (einzelnes Ereignis)
• Komplexes Trauma (sich über längere Zeit wiederholende Ereignisse). Dazu gehören körperlicher, emotionaler und sexueller Missbrauch, Kriegserlebnisse u.a.
• Bindungsstörung / Entwicklungstrauma: Bearbeiten von prägenden Beziehungserfahrungen
• Depression: Bearbeitung der den Identifikationen zugrunde liegenden Erfahrungen
• Angst, Panikattacken, Phobie: Bearbeitung der zugrunde liegenden Erfahrung
• ADHS: Verarbeiten von selbstwert-belastenden Ereignissen
• Asperger Syndrom: Verarbeiten von selbstwert-belastenden Ereignissen
• Zwangsstörung: Bearbeitung der zugrunde liegenden Erfahrung
• Trauerprozesse: Bearbeiten von hartnäckigen Trauererfahrungen


Ablauf einer EMDR Behandlung bei Traumatisierung
Der Ablauf einer Behandlung gliedert sich in 8 Phasen. Im besten Fall kann nach wenigen Sitzungen mit dem Bearbeiten der Erinnerungen begonnen  werden. Die folgenden 8 Phasen gehören in jede EMDR Behandlung:

1. Gründliche Anamnese - Auflistung - nicht Vertiefung! - von belastenden Ereignissen - Diagnosestellung (allenfalls Traumadiagnostik) mit besonderem Fokus auf allfällig Dissoziation - Indikation und Behandlungsplan
2. Vorbereitung - diese Phase kann zwischen wenigen Sitzungen und Jahren dauern! - Ausführliche Aufklärung und Information über Behandlung - Prüfen/Erlernen von Emotionsregulationsmechanismen - Erlernen von Stabilisierungstechniken, Erkunden des Kontakts zum Körper und Gefühlen - Testsitzung mit positivem Material (sog. Absorptionstechnik), mit langsamer Stimulation
3. Bewertung einer ausgewählten Erinnerung (Bild, Gedanken, Emotion, Belastung, Körper)
4. Reprozessierungmit schneller bilateraler Stimulation, bis Belastung verschwunden ist
5. Verankerung der positiven Gedanken/Körperempfindung mit langsamer Stimulation
6. Körpertest- Die PatientIn scannt den Körper nach Bereichen des Unwohlseins oder Schmerzen
7.  Abschluss - Die Patientin soll immer in einem stabilisierten  Zustand die Sitzung  verlassen, auch wenn die Bearbeitung der Erinnerung noch nicht komplett abgeschlossen ist, d.h. wenn noch eine Restbelastung übrig bleibt.  Dazu stehen zahlreiche Stabilisierungs-Techniken zur Verfügung.
8. Überprüfung und Planung in der nächsten Sitzung

Die eigentliche Bearbeitung der Erinnerungen findet in einer 60-90 Minütigen Sitzung statt (Phasen 3-7).
Anmerkung: Anstelle der oft ermüdenden Augenbewegungen kann EMDR mithilfe eines vibrierenden Geräts (EMDR “Buzzies”) durchgeführt werden.

Bedingungen für eine EMDR Behandlung
• PatientIn sollte sich idealerweise in einer "relativ" stabilen Lebensphase befinden, d.h. aktuell keine tiefgreifenden Lebensereignisse wie Wohnungswechsel, Abschlussprüfung, Trennung/Scheidung, Schwangerschaft, Geburt eines Kindes, Entzugsbehandlung, etc.
• Ausreichende   Selbstregulierungsmechanismen   (da   Behandlung   ambulant   durchgeführt wird), d.h. Fähigkeit, belastende Gefühle zulassen zu können und wieder von alleine in eine psychische Ausgeglichenheit kommen zu können
• Keine andauernde Missbrauchsbeziehung
• bei ADHS Patienten: Medikamentöse Behandlung als Voraussetzung
• Ausschlusskriterien:  Psychose,  Epilepsie,  akute  Suizidalität,  permanenter  Drogeneinfluss, permanenter Benzodiazepinkonsum

Links
• EMDR Schweiz emdr-schweiz.ch  - mit Liste von anerkannten EMDR TherapeutInnen in der Schweiz

Foto: Vielen Dank an Patrick Brinksma.