- Das parasympathische Beruhigungssystem (bei Porges das ventral-vagale System) reagiert auf gefühlte Sicherheit und freundlich zugewandten Sozialkontakt und erklärt Gesundheitseffekte sozialer Beziehungen (Porges, 2022; Porges, 2023).
- Die Entwicklung eines widerstandsfähigen Beruhigungssystems ist in erster Linie abhängig von eingestimmten Bindungserfahrungen und gelungener Co-Regulation in den ersten Lebensjahren (Dana & Porges, 2021; Porges, 2021).
- Der vielfach erwiesene Zusammenhang zwischen einer verminderten Herzratenvariabilität und psychischen / somatischen Krankheiten (Adam et al., 2023; Ding et al., 2024) hängt mit einer Minderentwicklung dieses Systems zusammen und unterstreicht, weshalb polyvagal-informierte Behandlungsansätze - wie Somatic Experiencing oder Sensorimotor Psychotherapy - geeignete Therapieformen sind, um autonome Regulation zu entwickeln.
Für Ärztinnen, Therapeutinnen und Behandlerinnen
- Griffiges Verständnismodell: Die Polyvagaltheorie stellt ein hilfreiches Rahmenmodell für Selbstbeobachtung und Selbstregulation dar, anhand dessen Phänomene der Mobilisierung, Entspannung oder Immobilisierung identifiziert werden können.
- Orientierung für Behandlerinnen: Der polyvagale Ansatz liefert Orientierung, denn die präzise Beobachtung autonomer Körperprozesse erlaubt sowohl Rückschlüsse auf den physiologischen Zustand der Patientin als auch auf den eigenen. Dies ermöglicht eine informierte Wahl der Interventionen, im Moment und im Langzeitverlauf.
- Qualitätssicherung der Behandlung: Ein polyvagal-informierter Behandlungsansatz, bei dem sich die Exploration in gleichem Masse auf autonome physiologische Reaktionen ausrichtet wie auf das gesprochene Wort, ist oft näher am Erleben der Patientin dran als ein rein kognitiv-verbaler Ansatz.
- Orientierung schafft Sicherheit: Gezieltes Training der Neurozeption (Wahrnehmung von Bedrohung und Sicherheit) eröffnet Möglichkeiten, das Verhalten mehr auf das eigene Wohlbefinden auszurichten.
- Selbstregulation durch gezielte Aktivierung des Vagusnervs: Die Polyvagaltheorie hat maßgeblich dazu beigetragen, den Vagusnerv und seine Auswirkungen auf das Wohlbefinden bekannt zu machen. Die Theorie verkörpert einen fruchtbaren Nährboden für die Entwicklung neuer Regulationstechniken im Zusammenhang mit Vagusstimulation.
- Erklärung für Wirksamkeit therapeutischer Interventionen: Die Polyvagaltheorie erklärt viele gängige Praktiken in Psychotherapien und Körpertherapien, beispielsweise, welche konkreten Aspekte dazu beitragen, Sicherheit in einer Beziehung herzustellen oder wofür Small-Talk oder Grounding nützlich sein können.
Für psychisch Leidende und SelbstanwenderInnen
- Schlüssiges Rahmenmodell für autonome Reaktionen: Die meisten psychiatrischen Patienten sind auf der Suche nach einem gesünderen Umgang mit überwältigenden autonomen, physiologischen Reaktionen oder emotionalen Zuständen. Die Polyvagaltheorie bietet ein schlüssiges Rahmenmodell, welches autonome physiologische Prozesse mit emotionalen und sozialen verbindet.
- Praxisorientierter Ansatz für psychiatrisches Leiden: Durch die polyvagale Linse können Phänomene beobachtet, verstanden, eingeordnet und beeinflusst werden und ergeben plötzlich „Sinn“. Konzepte wie "gefühlte Sicherheit" oder “Bedrohung” werden greifbar und können in einen direkt wahrnehmbaren Zusammenhang zu körperlichen Reaktionen wie “Taubheit” oder “Kribbeln” gesetzt werden oder mit Handlungsimpulsen wie “ich möchte wegrennen“ verknüpft werden.
- Ansatzpunkt für Selbstregulation und Selbstwirksamkeit: Die polyvagal-informierte Beobachtung von autonomen Mikrophänomenen bildet ein körpereigenes Instrument, das nicht nur die subjektive Wirksamkeit eigener Verhaltensinterventionen misst, sondern darüber hinaus auch Orientierung in einer oft so überwältigenden Welt bietet. Je treffsicherer Patientinnen diese Mikroprozesse bei sich wahrnehmen, umso eher können sie ihren eigenen Zustand beeinflussen und regulieren.
- Stärkung der Selbstwirksamkeit und Autonomie: Das polyvagale Modell bietet Patienten ein selbstevaluatives Instrument, den Einfluss ihres Verhaltens auf ihren Organismus zu messen. Auf diese Weise können neue neuronale Verbindungen und gesündere Gewohnheiten entstehen, welche in direktem Zusammenhang zum subjektiven Erleben stehen.
- Rahmenmodell für Selbstexploration: Der polyvagale Ansatz liefert ein Verständnismodell für Selbstexploration, anhand derer die Verbindung zum Körper verbessert werden kann.
- Polyvagal-informierte Übungen für Selbstanwender: Die Theorie dient als Basis zur Entwicklung von mehr Orientierung, Verbindung zum Körper und Selbstregulation. Übungen zur Innen- oder Außewahrnehmung oder zur Vagusnervstimulation können selbständig durchgeführt werden.
Für Eltern
- Die Polyvagaltheorie kann Eltern helfen, das Verhalten ihrer Kinder besser zu verstehen, einzuordnen und adäquat darauf zu reagieren.
- Eltern lernen, dass emotionale Ausbrüche wie Toben oder Weinen Hilferufe nach Co-Regulation darstellen und nicht zur Isolation des Kindes führen sollten.
- Emotionale Ausbrüche von Kindern (und Erwachsenen) sind keine manipulativen Inszenierungen, sondern ein Ausdruck der Überforderung mit der Emotionsregulation.
- Die Aufgabe der Eltern besteht darin, in solchen Momenten durch ruhige, eingestimmte, körperliche Präsenz das Nervensystem des Kindes zu modulieren und Signale der Akzeptanz, Verbundenheit und Sicherheit auszusenden.
- Die Theorie ermöglicht es Eltern, ihre eigenen Reaktionen auf kindliche Zustände zu reflektieren und anzupassen.
Würdigung
- Obwohl die anatomischen Hypothesen der Theorie nicht bestätigt werden konnten (Menuet, 2025; Grossman, 2024), muss anerkannt werden, dass viele wichtige neuere Fortschritte in der Traumatherapie ohne den interdisziplinären Beitrag von Stephen Porges nicht denkbar gewesen wären.
- Porges hat sich als einer der wenigen Forschern gewagt, eine umfassende Theorie zu Stress und Trauma zu formulieren, welche subjektive und objektive Aspekte berücksichtigt und mit der neurobiologischen und anatomischen Ebene verknüpft. Letzterer Punkt
- Es erstaunt nicht, dass die meisten führenden Traumatherapeutinnen die Polyvagaltheorie als einen wertvollen praxisnahen Theorierahmen wertschätzen, der bei Patienten enthusiastisch aufgenommen wird.
Dieser Artikel wurde nicht mit Künstlicher Intelligenz verfasst!
Bitte auch englische Version beachten!

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