Wir
leben in einem Zeitalter der digitalen Revolution. Dieser technische
Fortschritt erlaubt es uns, Daten über unser Verhalten zu sammeln und
auszuwerten. Die Gadgets nennen sich Wearables - weil man sich praktisch ums
Handgelenk tragen kann, während sie einen überwachen und Schritte, Puls oder
andere Parameter erheben. Andere Apps erfordern eine manuelle Dateneingabe,
z.B. für Essverhalten oder ähnliche Dinge. Dieser Vorgang der Datenerfassung
und -auswertung stellt eine Quantifizierung unseres Verhaltens dar. Was auf den
ersten Eindruck Sinn macht, kann sich meiner Meinung nach auf längere Zeit
fatal auswirken. Zuallererst verstehe ich nicht, weshalb man Funktionen
outsourcen soll, wenn jeder Mensch diese auch selber ausführen kann. Denn wir
besitzen ein körpereigenes 'Instrument', das uns darüber Aufschluss gibt, ob
wir müde sind, Hunger haben, nervös sind oder nicht genügend geschlafen haben. Für
unsere Entscheidungsfindung im Alltag benötigen wir keine quantifizierbaren
Daten, wir machen es intuitiv. Wir spüren es irgendwie, wenn wir uns die Zeit
nehmen und bewusst darauf achten. Natürlich ist diese Fähigkeit nicht bei jedem
Menschen in gleichem Masse ausgeprägt. Es gibt viele Menschen, die abgeschnitten
sind von ihren Gefühlen und ihrem Körper. Ich denke da beispielsweise an
Menschen mit Suchtproblemen, Traumatisierungen oder Menschen mit Autismus. Interessanterweise
haben diese Personen oft Probleme mit persönlichen Entscheidungen und es fällt
ihnen schwer, zu wissen, was sie wollen oder was gut für sie wäre. Der Grund
dafür ist, dass sie den Kontakt zu ihrem eigenen Informationszentrum verloren
haben, dem körpereigenen Instrument, das ich zuvor erwähnt habe. Wer nicht
weiss, was ihm/ihr guttut, der hat in der Folge auch Mühe im Umgang mit seinen Gefühlen.
Denn um unsere Gefühle zu regulieren, greifen wir auf die intuitiven Impulse
und Bedürfnisse zurück, die wir vom Körper erhalten. Als Beispiel für einen
solchen Handlungsimpuls nenne ich ein Trauergefühl. Der Handlungsimpuls könnte
hier beispielsweise sein, sich ins warme Bett zu kuscheln und sich die Decke
über den Kopf zu ziehen und ganz alleine zu sein. Dieser Handlungsimpuls ist
jedoch nicht zu verwechseln mit der Idee, was jetzt wohl das Schlauste zu tun wäre.
Die Idee entspringt dem Denken, und der Handlungsimpuls dem Körper, oder dem ‘Bauch’,
wie manche sagen. Die Idee ist ein ‘Top-Down-Prozess’ und der intuitive Handlungsimpuls
ein ‘Bottom-Up-Prozess’.
Als
weiteres Beispiel dafür, was passieren kann, wenn wir unser körpereigenes Navigationsinstrument
ignorieren, kann das allgegenwärtige Phänomen des Burn-Outs genannt werden. Was
uns Menschen von Affen unterscheidet, ist unser Präfrontalkortex, der uns
erlaubt, Handlungen zu planen und Impulse aufzuschieben. Wenn wir das nicht
könnten, würden wir bei jeder Ablenkung die Arbeit fallen lassen und uns bei
jeder Müdigkeit oder bei jedem Motivationsverlust hinlegen, etc. Wir haben also
die Fähigkeit, weiterzuarbeiten, obwohl wir müde sind. Nur tun wir das in solch
extremem Masse, bis es irgendeinmal einfach nicht mehr geht. Ich vergleiche das
oft mit einem Auto, bei dem die Anzeige leuchtet, dass es Benzin oder Öl
braucht. Und indem wir die Anzeige ignorieren, und uns sagen «So schlimm kann
es ja nicht sein, der Wagen fährt ja noch», schneiden wir uns von unserer
Intuition ab und entfremden uns von uns selber. Menschen mit Burn-Out müssen
wieder lernen, ihr Instrument zu lesen und ernst zu nehmen: Körpersensationen
und Bedürfnisse wahrnehmen und die eigenen Grenzen spüren.
Glücklicherweise
ist die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung trainierbar, beispielsweise mit Hilfe
von Achtsamkeits-Meditation, Yoga oder in einer Psychotherapie, nur um einige
Möglichkeiten zu nennen. Durch die Verbesserung der Selbstwahrnehmung und
Selbstregulierung, profitiert die psychische Gesundheit und die Stabilität eines
Menschen.
Daher plädiere ich von ganzem Herzen für die Entwicklung der körpereigenen Instrumente anstelle von Apps und Wearables.
Wir brauchen keine zusätzliche Abhängigkeit, und - obwohl das Anschauen und
Vergleichen von Daten durchaus einen Reiz haben kann - quantifizierbare Daten
bergen meiner Meinung nach mehr Risiko als Gewinn: So können persönliche Daten
von Versicherungen, Arbeitnehmern oder schlimmstenfalls von einer kontrollierenden
Regierung (wie China) verwendet werden. Ferner bringt der Vergleich mit dem
statistischen Durchschnitt meist wenig. Viel aussagekräftiger wäre ein
intraindividueller Vergleich, womit auch die individuelle Entwicklung gewürdigt
werden kann. Die Auswertung von messbaren Daten greift viel zu kurz, wenn es um
das Erklären von persönlichen Unterschieden geht. Denn das menschliche Erleben
und Verhalten sind sehr komplex, und die Einflussvariablen auf unsere
Lernprozesse bisher nicht durch künstliche Intelligenz reproduzierbar. Wahrscheinlich
wird es in naher Zukunft möglich sein, menschliche Funktionen mit AI
(Artificial Intelligence / Künstlicher Intelligenz) zu erweitern und zu verbessern.
Konzepte wie ‘augmented reality’, bzw. 'Erweiterte Realität'
deuten auf eine klare Entwicklung in diese Richtung hin. Ob dieser Fortschritt
dem Menschen zu Gute kommen oder schaden wird, hängt von den Interessen der
Geldgeber und Mächte ab. Wer seine Körperintelligenz zu nutzen weiss, der wird
ein autonomeres selbstbestimmteres Leben führen können. Soviel ist sicher.
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