Seitdem ich Bessel van der Kolks Traumaklassiker «The body keeps the score» (deutsch «Verkörperter Schrecken») gelesen habe, war ich fasziniert von der Idee des Neurofeedback. Eine Methode, bei der sich das Gehirn selbst reguliert und neue Verknüpfungen schafft, ganz non-invasiv – das schien mir besonders elegant. Neuronen unseres Gehirns kommunizieren mittels chemischer und elektrischer Prozesse miteinander. Jegliche Psychopharmaka nutzen den chemischen Weg, das Gehirn zu beeinflussen und Symptome zu lindern. Interessanterweise wird der elektrische Kommunikationsweg des Gehirns noch vergleichsweise selten genutzt, um dieses zu beeinflussen, Symptome zu minimieren oder eben die Funktionsweise von Grund auf zu verändern und neu zu trainieren. Und genau das macht Neurofeedback. Die non-invasive Funktionsweise des Neurofeedback erinnerte mich auch an die Methode des EMDR (eye movement desensitization and reprocessing), welches ich seit Jahren mit ungetrübter Begeisterung mit vielen PatientInnen anwende. Das Prinzip, dem Gehirn ein Startsignal zu geben (anhand der bilateralen Stimulation) und es dann seinen eigenen Weg finden zu lassen, um traumatische Erinnerungen zu verarbeiten, gefiel mir schon damals und entsprach auch meiner Vorliebe für Autonomie und Selbstbestimmung, die ich auch gerne meinen PatientInnen gewähre. Wie auch immer. Mehr zu EMDR in meinem Blogbeitrag darüber.
Irgendwann fasste ich den Beschluss zu
einem Selbstversuch. Doch wie ich aus den zwei Fachbüchern erfahren hatte, die
ich zur Vorbereitung zum Thema gelesen hatte, ist Neurofeedback zwar in der
Sitzung selbst entspannt und verlangt keinerlei Anstrengung oder Disziplin.
Dafür braucht es Einiges an Durchhaltevermögen und Konsistenz, die
wöchentlichen Sitzungen mindestens während mehreren Monaten wahrzunehmen. In
meinem Fall waren es schliesslich um die neun Monate.
Der erste Termin bestand daraus, ein qEEG meines Gehirns anzufertigen, um
zuerst zu verstehen, wie mein Gehirn überhaupt tickt. qEEG bedeutet übrigens
«qualitatives EEG» (Elektro Enzephalogramm). Dabei musste ich mir eine Kappe mit 19 Sensoren anziehen, welche meine Hirnaktivität in drei verschiedenen
Zuständen mass: a) Ruhezustand mit offenen Augen, b) Ruhezustand mit
geschlossenen Augen, c) während einer einfachen Reaktionsaufgabe.
Die Aufgabe bestand darin, so schnell wie möglich mit einer Maus zu klicken, wenn man zwei Bilder eines Tieres nacheinander gesehen hatte (nicht aber bei zwei aufeinanderfolgenden Bildern von Pflanzen), oder ähnlich. In einer weiteren Sitzung wurden die Messwerte dieses qEEGs dann besprochen, und verglichen mit einer Liste von Symptomen, die ich ebenfalls ausfüllen musste. Ich war beeindruckt, wie viele Informationen die Neurofeedback Spezialistin aus den Daten herauslesen konnte. Manche Dinge liessen jedoch auch unterschiedliche Interpretationen zu. Beispielsweise wurden bei mir mehr Thetawellen und wenig schnelle Betawellen im Frontallappen gemessen. Laut Spezialistin entspreche dies einem Stand-By-Modus, und spreche für eine leichte Unteraktivierung des Frontalbereichs. Es könne ein Zeichen für Aufmerksamkeitsprobleme sein. Eine alternative Interpretation könnte jedoch auch sein, dass die Aufgabe langweilig gewesen sei (was der Fall war), dass mein Filter nicht so gut funktioniere oder dass ich mich allenfalls abgelenkt gefühlt haben könnte. Dies nur zur Illustration. Die Thetawellen fanden sich ebenfalls frontal midline (mittig), was offenbar darauf hinweise, dass mein Gehirn mit sich selbst im Dialog sei und auf eine hohe Selbstreflektionsaktivität hinweise. Die Aktivierung meines zingulären Systems hingegen bedeute oft oppositionelle Energie, hmm… Das limbische System sähe eher gefühlsabwehrend aus, als jemand, der seine Sache gut machen wolle, könnte auch mit zwanghaften Verhaltensweisen vereinbar sein. Und schliesslich zeigten sich temporal vor der Amygdala recht hohe Deltawellen, was auf emotionale Dissoziation oder auch Tinnitus hindeuten könne. Um Sie nicht weiter mit diesen Details zu langweilen. Mein Punkt ist: Diese Interpretationen trafen alle zu: leicht abgelenkt, teils gefühlsabwehrend, leicht zwanghaft und ich habe einen Tinnitus!
Wir einigten uns, dass wir zunächst auf den Frontalbereich fokussieren würden mit dem Ziel, diesem beizubringen, sich mit weniger Energieaufwand zu aktivieren und online zu bleiben. Denn die Auswertung der Aufgabe hatte ergeben, dass mein Gehirn die Aufgabe zwar schnell und fehlerlos bewältigt hatte, jedoch mit einem enormen Aufwand an Energie.
Bevor ich zu meiner Erfahrung während und nach den Sitzungen komme, möchte ich kurz auf das grundlegende Funktionsprinzip von Neurofeedback erklären: Die Kappe, welche man sich dafür anziehen muss, enthält eine Anzahl von Elektroden, welche die elektrische Hirnaktivität messen (keine Angst, es fliesst kein Strom ins Gehirn) und an einen Computer weiterleiten. Dort kann bestimmt werden, bei welcher Aktivität ein Film oder ein Spiel laufen soll und bei welcher Aktivität der Film stocken soll. Der Level soll so gewählt werden, dass das Gehirn etwas arbeiten muss, jedoch auch zum Ziel gelangen kann, nämlich den Film einigermassen flüssig anzuschauen. Diese Art der Anordnung nennt sich Frequenzbandtraining und ist eine der ursprünglichsten Behandlungsprotokollen. Sie verlangt vom Probanden keinerlei Anstrengung. Im Gegenteil: Ich hätte nicht gewusst, wie ich es anstellen sollte, um meine frontalen Thetawellen (4-7Hz) zu heben und gleichzeitig meine tiefen Betawellen etwas zu heben (keine Ahnung, ob das Sinn macht). Mit anderen Worten: Man schaut den Film und versucht zu entspannen. Dann klappt es meist besser und das Gehirn macht, was notwendig ist, dass der Film rund abläuft. Die Sitzungen fühlen sich also nicht nach Arbeit oder Anstrengung an, obwohl das Gehirn auf Hochtouren arbeitet. Mittlerweile existieren eine kaum zu überblickende Vielzahl von unterschiedlichen Behandlungsprotokollen von einer grossen Anzahl an Softwareherstellern: Othmer Methode, Alpha-Gamma Synchronic Training, Alpha-Theta-Training, ILF Training (infra low frequencies), SCP Training (slow cortical potentials), biploares Training, Kohärenztraining, Z-Wert-basiertes Training, LENS (Low Energy Neurofeedback System von Len Ochs), LORETA-Neurofeedback (Low Resolution Electromagnetic Tomography), ZENGAR, Neuroptimal (dynamisches, non-lineares NFB, von Susan Brown) und viele mehr.
Neurofeedback soll besonders hilfreich sein bei ADHS, Steigerung der Konzentrations- und Lernfähigkeit, aber auch bei Autismus, Angst oder Trauma sehr hilfreich, indem es Prozesse der Selbstregulation neu organisiert und von Grund auf verbessert. Dies war denn auch meine Hauptmotivation auf dem Hintergrund des van der Kolk Buches: Denn wer möchte sich schon zufrieden geben mit einer reinen Symptombehandlung, wie wir es seit 50+ Jahren mit Psychopharmaka betreiben? Es ist klar, dass die beste Behandlung von psychiatrischem Leiden in Zukunft an der Quelle ansetzen muss, und nicht an den Symptomen. So betrachtet wird Neurofeedback als eine Methode für einen potentiellen Paradigmenwechsel gefeiert und als Bindeglied zwischen Neurowissenschaften und Phänomenologie betrachtet. Dabei wird jedoch kritisiert, dass die Effekte teils nicht nachhaltig sind, und wieder verloren gehen nach einer Weile. Zudem ist die Behandlung wie gesagt recht zeitintensiv und es gibt keine schnellen Resultate. Man muss sich schon ein bis zwei Monate ohne grössere Veränderungen gedulden können, bis sich erste Anzeichen bemerkbar machen.
Meine Erfahrung mit dem Training
Die erste Sitzung verlief in meinem Fall etwas holprig: Es schien ein technisches Problem vorzuliegen. Der Film schien nicht recht zu reagieren, was mich in dem Moment nervte und dazu führte, dass ich mich beklagte am Ende der Sitzung. Wie soll ich oder mein Gehirn denn diese Aufgabe bewältigen und etwas lernen, wenn die Software schon gar nicht funktioniert? Berechtigte Frage, jedoch wurde im Nachhinein auch deutlich, dass der Ärger auch ein Ausdruck meines offenbar trägen Gehirns war: Es wollte seine Art der Aufmerksamkeitsregelung offenbar nicht verändern. Die nächsten Wochen mit Trainings verliefen besser, jedoch ohne grosse Veränderungen. Nach einigen Wochen schien sich ein Trend zu zeigen, und zwar ein negativer: Ich fühlte mich öfters genervt, reagierte impulsiver, war weniger gut organisiert und hatte weniger Geduld mit Kleinigkeiten. Wir interpretierten die Reaktionen als Startschwierigkeiten und beschlossen, mit dem Training in dieselbe Richtung fortzufahren. Während die frontale Aktivierung jeweils sehr gut und schnell klappte, zeigte sich bei der Beruhigung der frontalen Aktivitäten mehr Gegenwind. In den folgenden Wochen verstärkten sich die negativen Effekte, und als diese auch nach einem weiteren Anpassungsversuch keine Verbesserungen zeigten, stand fest, dass sich mein Gehirn offenbar heftigst gegen den Eingriff in die Funktionsweise meines Frontallappens wehrte. Wir änderten den Kurs und da ich so oder so unbedingt das Alpha-Theta Training ausprobieren wollte, einigten wir uns darauf. Soweit ich informiert war durch Sebern Fishers Buch «Neurofeedback in the treatment of developmental trauma» sollte Alpha-Theta Training einen Trance-ähnlichen Zustand hervorrufen. Das Training, welches im Vergleich zum bisher praktizierten liegend, mit geschlossenen Augen und mit rein auditorischem Feedback praktiziert wird, sei ein sogenanntes «Deep-state Training», wobei man in eine Art regressiven Zustand versetzt werde, in dem oft vergessene traumatische Erinnerungen hochkommen würden. Ich war schon gespannt, was denn da alles noch ans Licht kommen würde, und war dann überrascht, dass so gar nichts kam. Anstattdessen entpuppte sich das Alpha-Theta Training als ein Schnellzug in die Tiefenentspannung, und zwar derart tief, dass man fast schon von einem dorsal-vagalen Lähmungszustand sprechen könnte (ohne Angst). Wer diesen nicht kennt, kann sich gerne in meinem Blogpost über die Polyvagaltheorie dazu informieren. Die Immobilisierung war so stark, dass mir anfangs regelmässig die Hände «einschliefen», was anfangs etwas unangenehm war. Jedoch war der Entspannungszustand derart erholend und erfrischend, dass es sich trotzdem gelohnt hatte. In den folgenden Wochen verschwanden die Genervtheit, die Impulsivität und die restlichen negativen Symptome gänzlich zugunsten einer verbesserten Ausgeglichenheit, inneren Ruhe und Harmonie, welche nicht nur ich, sondern auch mein Umfeld wahrnehmen konnten. Erstaunlich, welchen Effekt diese 20 Minuten Tiefenentspannung pro Woche auf die gesamte Woche hatten! Mein Gehirn und ich waren glücklich, denn diese Art des Trainings entsprachen mir voll und ganz, und es war keine neuronale Rebellion mehr nötig! Mit fortschreitender Zeit begann ich mich zu fragen, ob sich die Effekte noch weiter verbessern würden oder ob es dabeibleiben würde. Nach Rücksprache mit der Spezialistin entschieden wir, noch bis zur 30. Stunde fortzufahren, um die Effekte zu sichern und damit für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen.
Heute, zirka zehn Monate später, fällt es mir schwer, zu sagen, inwiefern die Effekte angehalten haben oder noch anhalten. Insgesamt war es jedoch eine sehr bereichernde Erfahrung. Ich habe heute andere Wege gefunden, meinem Körper «das Geschenk der Entspannung zu geben» (ein Lieblingsausspruch von Peter Levine) und die Erfahrung der Tiefenentspannung durch das Alpha-Theta Training hat sicherlich auch dazu beigetragen, auch den angstfreien, dorsal-vagalen Zustand schätzen zu lernen, im Vergleich zum ventral-vagalen Zustand.
Ich kann Neurofeedback allen Interessierten empfehlen.
Empfehlenswerte Adressen im Raum Zürich / Winterthur:
- http://www.lern-werk.ch/ (Elena Arici, Winterthur und Stäfa)
- https://schoresch.ch/ (Ruth Würsch, Zürich)
- https://www.holisticpractice.ch/neurofeedback (Stefan Schmidinger, Zürich)